27.01.2014

Ausbildungsvergütung: Wann kann der Azubi Nachschlag verlangen?

Der Fall

Die Parteien hatten einen Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen, wonach eine Beschäftigung als Auszubildende für den Beruf einer Kauffrau für Bürokommunikation vorgesehen war. Im Ausbildungsvertrag vereinbarten die nicht tarifgebundenen Parteien eine monatliche Ausbildungsvergütung für das erste Ausbildungsjahr in Höhe von € 500,00 brutto, für das zweite Ausbildungsjahr in Höhe von € 550,00 brutto und für das dritte Ausbildungsjahr in Höhe von € 600,00 brutto. Die zuständige Industrie- und Handelskammer hatte für den fraglichen Ausbildungsberuf eine Ausbildungsvergütung von € 669,00 brutto im ersten Ausbildungsjahr, € 731,00 brutto im zweiten Ausbildungsjahr und € 801,00 im dritten Ausbildungsjahr vorgeschlagen. Ab August 2009 zahlte der Ausbilder die Ausbildungsvergütung nicht mehr regelmäßig. Die Auszubildende forderte ihn mehrfach erfolglos zur Zahlung auf, und erklärte, dass sie gezwungen sei, das Ausbildungsverhältnis vorzeitig zu beenden, wenn der Ausbilder seiner Zahlungsverpflichtung nicht nachkomme. Mit Schreiben vom 12.11.2009 kündigte die Auszubildende das Ausbildungsverhältnis dann unter Angabe von Gründen fristlos. Sie verklagt den Ausbilder auf rückwirkende Zahlung der Differenz zwischen dem bisher gezahlten und dem angemessenen Lohn. Des Weiteren begehrt sie Schadensersatz in Form einer Abfindung.

 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG v. 16.07.2013 – 9 AZR 784/11)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigt zunächst seine bisherigen Vorgaben zur Ausbildungsvergütung. Gemäß § 17 BBiG ist der Ausbilder verpflichtet, eine angemessene Vergütung zu gewähren. Um zu ermitteln, was eine angemessene Vergütung ist, ist primär auf einschlägige Tarifverträge abzustellen. Dies gilt auch für den Fall, dass die Parteien überhaupt nicht tarifgebunden sind. Ihre Tarifbindung ist zu unterstellen und es ist danach zu fragen, ob der räumliche, zeitliche und fachliche Geltungsbereich eines Tarifvertrages eröffnet ist. Dies war vorliegend nicht der Fall. Eine einschlägige tarifliche Regelung existierte nicht. In diesem Fall kann auf die Empfehlungen von Kammern (Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer) und Innungen zurückgegriffen werden. Der Auszubildende genügt in einem Prozess seiner Darlegungslast bereits dann, wenn er sich auf Empfehlungen von Kammern oder Innungen stützt und darlegt, dass die ihm gezahlte Vergütung 20 % darunter liegt. In diesem Fall wird die Unangemessenheit der im Ausbildungsvertrag vereinbarten Vergütung widerleglich vermutet. Diese Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt. Der Liquiditätsengpass des Ausbilders konnte nicht als Grund dafür anerkannt werden, die empfohlene Vergütung um mehr als 20 % zu unterschreiten. Wird keine „angemessene Vergütung“ gewährt, ist der Ausbildungsvertrag insoweit unwirksam, als niedrigere Vergütungssätze vereinbart wurden. Anstelle der vereinbarten Vergütung ist dann die volle angemessene Vergütung geschuldet. Der Ausbilder hat in diesem Fall für die gesamte zurückliegende Ausbildungszeit den Differenzbetrag nachzuzahlen. Das Landesarbeitsgericht hatte sich noch auf den Standpunkt gestellt, von der Vergütungsempfehlung der Industrie- und Handelskammer sei ein Abschlag von 20 % vorzunehmen. Dem hat das BAG eine klare Absage erteilt. Der Ausbilder könnte in diesem Fall nämlich ohne jedes Risiko die gerade noch angemessene Vergütung bewusst unterschreiten.

Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis, auf welches das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist, außerordentlich, so kann er von dem Arbeitgeber einen angemessenen Ausgleich für den Verlust des Bestandsschutzes verlangen. Er erhält dann in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz eine Abfindung. Eine solche wollte auch die Auszubildende sich im vorliegenden Fall erstreiten. Das BAG hat jedoch entschieden, dass die für ein reguläres Arbeitsverhältnis insofern geltenden Grundsätze nicht auf das Berufsausbildungsverhältnis übertragen werden können.

 

Fazit

Auch in kleinen Betrieben mit einer angespannten Liquiditätssituation dürfen die einschlägigen tariflichen Regelungen bzw. die Empfehlungen der Kammern/Innungen nicht um mehr als 20 % unterschritten werden. Geschieht dies gleichwohl, trägt der Ausbilder das Risiko, dass der Auszubildende nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses eine Nachzahlung in Höhe des Differenzbetrages zwischen der angemessenen Vergütung laut Empfehlung und der tatsächlich vereinbarten Vergütung verlangt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Vergütung nicht nur zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses angemessen sein muss, sondern während der gesamten Ausbildungszeit. Änderungen der Empfehlungen der Kammern bzw. Innungen sind daher im Blick zu behalten.